R A J A N

Rajan ist mein Stiefvater. Rajan ist mein Vater (Es ist schwer den richtigen Begriff zu finden). 2005 lernte ich ihn kennen, als seine Beziehung zu meiner Mutter begann. Ein paar Jahre, nachdem er in mein Leben kam, erfuhr ich von seiner zutiefst traumatischen Vergangenheit, von der auch heute noch die Allerwenigsten wissen. Aufgrund des Bürgerkriegs in Sri Lanka floh er im Dezember 1983, als einer der ersten tamilischen Flüchtlinge, in die Schweiz.

Die Bevölkerung Sri Lankas setzt sich aus mehrheitlich buddhistischen Singhalesen, die im ganzen Land verteilt sind, und hinduistischen Tamilen zusammen, die vor allem im Norden und Osten leben. Der Konflikt zwischen den Singhalesen – die in der Regierung, dem Militär und der Marine an der Macht waren – und den tamilischen Separatisten der Tamil Tigers (LTTE) – die sich aus einer Studentenbewegung heraus entwickelt haben, um für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen – forderte zwischen 1983 und 2009 zwischen 80’000 und 100’000 Todesopfer. 

Für meine Diplomarbeit habe ich Rajan während 18 Monaten durch seinen Alltag zu Hause, bei seiner Arbeit als Koch und in Therapie begleitet. Zudem reisten wir zusammen zehn Tage lang durch Sri Lanka – das Land, in dem er aufwuchs und das er vor fast 40 Jahren verlassen musste. Wir fuhren mit dem Auto der Küste entlang – einmal um die ganze Insel: Von Colombo über Jaffna, Mullaitivu, Trincomalee, Batticaloa und zurück. Bei dieser Reise durch seine Vergangenheit und Gegenwart entstanden mehr als 10’000 Bilder. 

“Ein Trauma umfasst ein Ereignis oder eine Situation von aussergewöhnlich bedrohlicher oder katastrophaler Natur. Traumatische Ereignisse schliessen auch wiederholt auftretende Erlebnisse mit ein sowie solche, die über einen längeren Zeitraum geschehen und aus denen ein Entkommen schwierig oder unmöglich ist, wie beispielsweise bei Opfern von Folter, sexuellem Missbrauch oder körperlicher Misshandlung, bei Verfolgung einer politischen oder ethnischen Gemeinschaft. Die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung werden in drei Symptomgruppen Wiedererleben, Vermeidung und Übererregung eingeteilt: Wiedererleben kann sich in form von lebhaften unfreiwilligen Bildern und dissoziativen Reaktionen (z.B. Flashbacks), bei deren Auftreten die Betroffenen fühlen oder handeln, als ob das traumatische Ereignis Wiederkehre.”

Zitat aus dem Buch Trauma - Flucht - Asyl
Ein interdisziplinärisches Handbuch für Beratung, Betreuung und Behandlung 
Thomas Maier, Naser Morina, Matthis Schick, Ulrich Schnyder (Hrsg.)
hogrefe Verlag (Seite 79-80)